kungsleden (2023) – rakt fram 21/25

tag 21: ammarnäs – aigertstugan (20.7.)

(c) kaschpar

suchen+buchen

1 großteil der freizeit im hotel verbringe ich mit recherchieren für die heimfahrt. ich denke, dass ich 2 streckenteile noch zusammenlegen werde können am ende, wos nur noch einfache wegbegebenheiten mit 11–12 km länge geben wird. jetzt kann ichs auch besser einschätzen + trotz der fußschmerzen bin ich mir sicher, dass sichs umsetzen lässt. daher buche ich das nächste stf in hemavan + gleich den bus zurück 1 tag später samt anschlusszug. ich plane die rückreise + ein bisschen ists wie motivation, tvärtom (umgekehrt): das wegfahren spornt mich an weiterzugehen. verrückt, nicht wahr?

vielleicht brauch ich auch den druck, um durchzuhalten. denn 1 aussteigen ist nicht mehr möglich + der fuß beginnt mir angst zu machen, als würde jetzt alles davon abhängen, wies mit ihm läuft. in der selbstversorger*innenküche, die ich wie die duschen+wäscheleinen im haus mitbenutzen kann von meiner kleinen hütte draußen im hof aus, finde ich wieder überbleibsel, darunter 1 schlafmaske, die ich einstecke. später bekomme ich 1 kurzen anfall, weil ich glaube, dass die dinge leuten gehören, nur abgelegt wurden, nicht zurückgelassen. ich schütte das müsli aus der riesentüte wieder zurück, bis ich später feststelle: alles ok. das hat wirklich jemand zurückgelassen.

should I stay or should I go

(c) kaschpar

es gäb in ammarnäs einiges zu sehen: das naturum vindelfjällen, wos alles über die tiere, pflanzen, geologie + kulturgeschichte der umgebung zu erfahren gäbe; der karsbäcken = potatisbäcken (kartoffelhügel), 1 eiszeitlicher moränenhügel, auf dem seit dem 19. jh. kartoffeln angebaut werden; oder zu tun wie wandern, fischen, reiten, sámi-kunsthandwerk erwerben oder im winter ski+schlittenfahren. im januar soll es bei windstille bis zu -30 grad haben.

ich kann aber nicht bleiben. immer noch nicht. für die nächsten tage ist regen angekündigt. ich werde auch später versuchen, in gebieten, wo ich mitm mobile empfang habe, screenshots zu schießen von der wetter-app für die empfangslosen gebiete, um den überblick zu haben über die besten zeiten zum gehen ohne regen. vielleicht kann ich so noch etwas durchhalten: das schöne gehen in den regenlöchern, das mir das bisherige nachtwandern ermöglicht hat. bis zu dem punkt, wos egal.

vattenfallen (wasserfälle)

der 1. streckenabschnitt bis zur aigerstugan ist nur 8 km lang, also eigentlich 1 strecke, die ich bewältigen + danach sehen kann, ob ich noch weiterkomme. aber der aufstieg ist ganz schön knackig, 1 von denen, die rakt fram (geradeaus) hinaufgehen ohne unterlass, jetzt zusätzlich über glitschige steine + rutschige erdlöcher. es lohne sich, sagt mir 1 entgegenkommende absteigende frau, für die+deren familie mit hund ich zur seite trete, um die langsamen, vorsichtigen tritte nicht zu stören: es lohne sich, da hochzugehen.

(c) kaschpar

es lohnt sich wieder. deshalb bin ich da. die wasserfälle, die schönen, die vollgeflutet die massen in die tiefe werfen ohne angst, sie könnten an 1 ende kommen. sie lassen nicht nach + halten nicht zurück. ich stelle mich auf der brücke dicht an den abgrund + sehe die weißen schaumkronen in der tiefe sich selber verschlucken. das weite land dahinter, ammarnäs in der tiefe, der vindelälven. alles ist so weit weg wie nie.

vart ska du gå? (wohin wirst du gehen?)

(c) kaschpar

bevor ich die höhe erreiche, kommt mir 1 dreigespann entgegen, von denen der ältere herr mich anspricht: ob ich hinauf zur aigerstugan wolle. ich weiß es nicht, entweder gehe ich dorthin oder weiter. ich würdes vom wetter abhängig machen. er meint, er wäre der stugvärd + würde nur schnell was einkaufen im ort, käme aber nachher zurück. ich solle mir das wetter gut ansehen + überlegen, ob ich übern berg gehen würde. es gäbe weitere 8 km von der hütte entfernt 1 notfall-stuga, da könnte ich zelten.

wir verabschieden uns + ich steige die lange strecke weiter hinauf. der fuß tut weh. ab jetzt werd ich an ihn jedoch weniger denken als ans wetter. so lange das sonnenlicht übern blauhimmel strahlt, zickt der fuß lautstark ins ungetrübte hinein. sobald aber die wolken aufziehen, übernimmt die regenangst das kommando + der fuß hat nicht mehr viel zu melden. jetzt bin ich ganz konzentriert auf die wolkenformationen, obs regen/sturm/niesel/nichts + die winde, inwiefern mit welcher geschwindigkeit sie die wolken in welche richtung treiben.

am abgrund

1 stück noch hinauf, dann führt der weg am abgrund entlang, die tiefen klippen stehen im krassen gegensatz zu der sanften hügelanhöhe, die ich vorgestern stundenlang hinaufgeschlurft bin, nur um am ende nicht viel mehr zu sehen als vorher. jetzt aber weiß ich, warum dieses stück als das schönste gelten soll: weil man am weitesten kucken kann, weil die tiefdunklen blaugraugrünen farben vereinzelt licht aufstrahlen wie wellenkämme im unabsehbaren ozean, weil ich nach langer zeit so sehr zurück in den bergregionen bin wie seit der tjäktja-hütte nicht mehr. nur ohne schnee – bis auf die weißen streifen auf den bergen in der ferne.

der vindelälven schlängelt sich wie 1 silberner glitzernder schlangenrücken durchn tiefgrünen kiefernwald. ich schieße 1 selfie + bin ganz gelassen. schau her. jetzt kann mir nichts mehr passieren. so gings mir nach dem 1. marathon, als ich die hiv-infektion aufm blog veröffentlichte. schau her, 15 jahre. mir kann keine*r mehr was. ich hab alles gelernt aufm weg, was ich lernen kann, vielleicht noch mehr, als gedacht. bestimmt gibts noch einiges, was dazukommen könnte, aber jetzt bin ich gerüstet. so lange der fuß hält, geh ich hier weiter. komme was wolle.

ommmm

es ist wie 1 mantra. es zieht sich durch die texte durch, es begleitet mich jeden schritt, den ich auf 1 fuß mit 1 entzündeten faszie setze, dies mir mit 1 stich quittiert. mit 1 schwellung unter der 4. zehe. mit 1 tauben gefühl. danke, dass du mit mir durchhältst. den blasen an der rechten ferse, die nur entstehen, weil auch das andere bein was haben muss der gerechtigkeit halber, kann ich nicht so viel aufmerksamkeit schenken. es darf jetzt nicht noch was großes dazukommen. dass die schramme auf meiner nase noch nicht verheilt ist nach all den tagen, ist mir 1 rätsel. aber vermutlich kommt der körper nicht mehr hinterher mitm heilen. also aufpassen, jetzt nicht stolpern am cliff.

(c) kaschpar

langsam zieht der himmel zu. ich wäre traurig, wäre ich nicht schon so voll von all den eindrücken. nur, ob ich noch weitergehen kann, wenns jetzt anfängt zu nieseln, weiß ich noch nicht. als ich die aigerstugan erreiche + ausm utedass komme, schüttet es schon 1 schauer kräftig herab. ich hechte in die hütte + koche mir wasser auf. es ist niemand da. ich sammle die kronen zusammen, die ich dem stugvärd an die türe pinne – ich habe anscheinend nicht vor, hierzubleiben.

geSELLschafFt

(c) kaschpar

es dauert nicht lang, da kommt gesellschaft. 1 gruppe wanderer*innen stiefelt herein, 1 teil bleibt draußen, weil der hund nicht mit darf. der anführer der gruppe fragt mich so lange aus, wer ich sei/was ich hier täte, bis ich ihm gegenfragen stelle, die er fleißig beantwortet. sie hätten hier 1 haus/hütte in der gegend + seien auf tagesausflug. er öffnet alle türen+schränke, sogar an der verschlossenen shop-tür rüttelt er, als ob er hier daheim + prüfe, wies aussehe.

als er im übernachtungsbuch meine angaben liest, versucht er den ort, den ich aufgeschrieben habe, auf der karte zu sehen. ich gehe noch davon aus, dass ich bis zur nächsten nothütte komme, daher steht dort nicht die nächste etappenhütte serve, sondern juovvatjåhkka. er versucht mit jemandem den begriff in der karte zu finden. ich weise ihn nicht drauf hin, dass ichs gewesen bin.

wetter? app!

die gruppe hat 1 australierin dabei, 1 alte dünne hutzlige dame, die allein unterwegs am ende den weg zur stuga nicht mehr gefunden. sie plaudern angeregt, während der anführer + ich unsere wetter-apps checken + schauen, wer recht hat mit seiner/meiner prognose: ists nur 1 schauer, der eigentlich erst in 2 stunden einsetzen soll (er) oder ists schon das wetter, das über unseren köpfen schwebt (ich). diesmal hab ich recht + er versteht die welt nicht mehr – eigentlich dürftes laut app nicht regnen. er benutzt die nordische yr app, deren ausdrucke auch in allen stugas aushängen. ich aber komme mit ihr nicht zurecht.

während ich die nächsten stunden auf meiner app durchlaufen lasse + auf niederschlagswahrscheinlichkeit prüfe, entscheide ich mich, hierzubleiben. ich hole das geld von der tür zurück, während die schwedische gruppe aufbricht. mittlerweile kommt 1 südamerikaner herein, der in der schweiz arbeitet + in schweden auf weitwanderung geht. er macht 1 pause + schwätzt mit der australierien, der er 1 cookie anbietet, worauf sie antwortet: “if you can spare one.” sie sieht etwas zu schmal für größe+gewicht ihres marschrucksacks aus + wie sie den keks mümmelt bin ich mir fast sicher, dass sie nicht viel dabei hat an verpflegung. sie nimmt das zelt zur sicherheit mit, aber wenns geht, schläft sie in hütten.

stop+shop

1 frau fragt in die runde, wer hier übernachten wolle, es ist die syrerin, die alle schwed*innen auf englisch anreden, obwohl sie seit 8 jahren hier lebt + mit 1 schweden verheiratet einwandfrei die landessprache beherrscht. sie sind verwandte des stugvärd, dem sie geschenke mitgebracht haben für die zeit, die sie hier bei ihm auf der hütte verbringen. als er zurückkommt, grüß ich ihn wie 1 alte bekannte: schau her, ich bleib da!

(c) kaschpar

die frau zeigt mir 1 guten platz für mein zelt. beim aufbau kommt mir der südamerikaner, der vorhin weitergegangen, wieder entgegen, er habe etwas liegenlassen. das kenne ich gut. die sonne scheint mittlerweile wieder + ich hadere mit meiner entscheidung, hier zu bleiben beim guten wanderwetter. ich tröste mich aber mit 1 bier ausm shop, wo der stugvärd mein bargeld ins portemonnaie steckt + den betrag via karte bezahlt: schau her, so gehts auch! langsam gehen mir tatsächlich die scheine aus + ich mag gar nicht dran denken, was mich der unbequeme urlaub eigentlich kostet.

I do remember

nach 1 warmen suppe lege ich mich hin, nicht ohne freude, weils wieder anfängt zu nieseln, als ob ich nur glücklich, wenns regnet, während ich im zelt. wenn ich glück habe, ist gegen 2 uhr wieder die regenpause + ich kann weitergehen im morgensonnenschein. es spielt sich jetzt ein, das frühe aufstehen. ich hab auch wieder genug gepackt, um von den hütten unabhängig zu sein, ich kann gut darauf verzichten, zur shop-öffnungszeit an 1 stuga anzukommen oder vorbeizugehen. zumindest die nächsten tage. der aufstieg wäre leichter gewesen, hätte ich nicht so viel eingekauft, aber dafür hab ich jetzt wieder auswahl, was auch nicht schlecht, nach 3 wochen vorbereitetem + ab+an aufgefülltem suppennudelmix aus der tüte.

(c) kaschpar

ich kann verstehen, dass die reisegefährt*innen allesamt etwas das tempo angezogen haben + heimkommen wollen. aber so eilig hab ichs nun auch nicht. so lange der wind weht + der regen tropft, kann ich geschützt im zelt meiner neuen lieblingsbeschäftigung nachgehen: lyssna på regnpodden (dem regenpodcast zuhören). ich kenne keine zeit in meinem leben, die ich so ausschließlich mit planung der nächsten tage+stunden, dem überlebenstraining + abschätzen von wegstrecken verbracht hätte, ohne nebenbei/zwischendurch noch irgendwas anderes zu machen wie lesen oder schreiben. fast alles, was ich jetzt hier verfasse, ziehe ich ausm abgekapselten hirnareal, das mit der speicherung dieser wanderung beauftragt ist/war.

lass es mich nicht vergessen, wies war.
lass mich was gelernt+gespeichert haben fürn rest meines lebens.