st. olavsleden 2022 (tvärtom) 15/27

st. olavsleden

trondheim – sundsvall, 650 km

tag 15: andersböle – röde (4.9., 29,3 km)

katJastrophe

anscheinend hab ich 1 notiz verloren. wenn ich das später wiederlese+aufschreibe, habe ich es vergessen. heute abend aber ists, als wär der tag eradiert. 

wenn ich morgens aufstehe, sind die stiere schon wach. zwischendurch muss jemand hier gewesen sein, der weiße plastikmüll von den heuballen lag gestern an 1 anderen stelle – entweder wurden die tiere gefüttert oder es hat gestürmt heute nacht. mitten in der nacht rausmüssen über den hof in stall zum utedo – da versteht sich 1 nachttopf von selbst. die erinnerung an früher, das kalte haus, die schwache blase, die betrunkenen unten in der wirtschaft – da versteht sich das bettnässen von selbst. 

der hals macht zu

wenn ich weniger frühstücke, kriege ich 2 std. später hunger. gutes gefühl, muss aufpassen mit dem magen. der sonnenschein trügt. draußen wartet nebel + ich drehe die heizung doch wieder etwas auf, weil das feuer längst kalt. übernacht das teelicht überm kamin brennen lassen bis es zur neige ging: war gar nicht so schlimm, weil sicher. 1 kleines licht draußen in der stockdunklen nacht. man müsste hier sterne sehen können, aber entweder komme ich nicht raus, es ist zu kalt zum sich aufhalten oder bewölkt. 

beim blättern im gästebuch stoße ich auf 1 eintrag von erst vor ein paar tagen: gudstjänst för nils-erik – der frühere besitzer der stuga, der name, an den ich die mail geschrieben wegen der buchung, ist am 17.08. gestorben. es fährt mir wie 1 donnerschlag in die magengrube – ich habe ihn nicht gekannt, ich weiß nicht, was passiert ist, wie alt er war. ich hatte nur mit seinem nachfolger kontakt. ich schreibe ins gästebuch ebenfalls 1 gudstjänst + danke an mats, dass er die hütte übernommen + damit die einzige übernachtungsgelegenheit zwischen slagsån+alsen/röde ist, ich weiß nicht, ob ichs sonst geschafft hätte. natürlich, sagt der weg, du hättest 1 andere lösung gefunden. trotzdem: tack!

als ich aufbreche, zieht der himmel zu + ich gerate in dichten nebel, der frost hängt an den blättern + auf der straße kommt mir 1 jäger entgegen, der grüßt. hier grüßen sich alle, die draußen sind. mein hals macht zu, ich weiß nicht, wieso. ob der infekt wieder aufkeimt oder 1 kloß sich zusammenzieht. mit dem nebel legt sich die aussichtslose stimmung über meine lider, mein notfallkontakt ist so weit weg. der nächste jäger, den ich treffe, telefoniert, er winkt herüber. haben sie sich das so ausgesucht mit dem wetter? damit sie das wild im wald überraschen? warnt er die anderen über funk: vorsicht, da ist 1 wanderin unterwegs?

ich bin ganz schwarz angezogen + überlege, das rote regencover über den schwarzen rucksack zu ziehen. vielleicht singe ich ein wenig, weinen ist auch nicht schlecht, idealisieren: das land + die jäger, jetzt bin ich versöhnt mit euch. als könnte das land mich retten. was könnte ich hier nur arbeiten? ich habe doch nichts gelernt. 

verzagen versagen

der nebel ist 1 mentale herausforderung. nicht, weil die strecke nicht absehbar, wir haben ja alles auf unserer uhr mit dem gps dabei – wobei wir nicht sicher sind, dass die satelliten uns bei dem wetter wirklich gut orten. wandern bei sonnenschein ist keine kunst. es läuft sich von allein. wandern im regen braucht kraft + durchhaltewillen. wandern im nebel braucht mut, und zwar guten. 

die nächste stempelstelle ist öffentlich zugänglich, meist haben nur herbergen welche oder kirchen, gelegentlich aber hängen die kleinen metallkästen in der nähe von denkmälern. diesmal ist es die stelle, wo der stillestand zwischen den schwedischen+norwegischen truppen am 25.07.1809 geschlossen + von general v. döbeln + kapten v. krogh unterzeichnet wurde. es ist nach gestern bereits der 2. gedenkstein, das ereignis muss mindestens so wichtig sein wie st. olavs letzte schlacht 1030 oder könig karl johans landwegebau. der stempel aber liegt in seinen einzelteilen da + ich versuche ihn zusammenzubauen, es gelingt mir mittelprächtig, die hände voll tinte, geschwärzt.

der schwarze bach, über den ich gehe, heißt auch so. er führt wenig wasser oder viel steine, ich denke, ersteres. ich versinke in trüben gedanken + achte wenig auf den weg, was ich denke, vergesse ich, weil ich die notiz später aus versehen lösche.

weil ich die augen nicht vom boden löse, kann es sein, dass ich den übergang nicht bemerkt. aber als ich ans ende 1 waldstücks komme, ist der himmel plötzlich strahlend blau. ich kanns kaum fassen. es ist, als wäre ich durch 1 tiefes trübes tal gegangen + plötzlich lichtet sich alles am horizont. es ist herrlichstes wanderwetter, wenn auch kühl, aber ich lasse mich von der sonne mitreißen + bin sofort gut drauf. ich versende nachrichten + empfange welche, das hilft auch. 

der supermarkt ist wie erwartet geschlossen. es macht aber nichts, ich habe noch reserve, wenn ich auch gestern+heute keine verpflegung gebucht, es sollte noch reichen.

der weg führt diesmal an 1 hauptstraße entlang, die wir immer wieder für kleinere trails daneben verlassen, irgendwann biegen wir ab + streifen durchs unterholz. im sommer soll es hier viele mücken geben, aber jetzt ist keine zu sehen, vielleicht 2-3 nachzügler*innen, aber nichts, was dem genießen im wege steht. es geht hoch+runter, aber unsere laune steigt mit jedem höhenmeter. am bach füllen wir unsere flasche auf + nehmen den 1. stein mit. jetzt können wir das tragen. 

oben angekommen ist 1 siedlung von häusern + wir sind wie immer überrascht, wenn wir uns gefühlt über wurzelwegtrampelpfade durch wildnis winden + plötzlich steht da 1 haus. der allmän väg aber endet dort oben + keine*r kommt weiter wenn nicht zu fuß. wir rasten in der sonne mit schönstem ausblick über die bergketten + fühlen uns ein bisschen wie daheim, wenn wir auch nicht am alpenrand großgeworden + die hügel hier alles andere als berge sind – aber es fühlt sich so an. es fühlt sich bekannt+heimisch an. am fließenden hintergrund blauinblau immer noch der 1 skiberg von åre, weithin sichtbar, obwohl wir seit tagen schon wieder unterwegs. 

die strecke heute über 30 km, das muss man gut einteilen. 1 stück weiter den berg schon wieder hinunter die anzeichen 1 kreuzweges + die erkenntnis, dass ond+ont – schmerz+das böse sehr nah zusammenliegen.

wir ziehen am reiterhof vorbei, wo es auch übernachtungen gegegeben hätte, wir wollen aber insgesamt 1 etappe verkürzen + laufen nach röde weiter am alsensjön entlang. es geht auch gleich wieder hinauf, am 1000 jahre alten steingrab rysshögen vorbei hoch wieder zum karl-johans-vägen + 1 elchjagdlehrpfad. 

rysshögen
im grab von oddmar, 1 vermutlichen hövding (häuptlings) aus der vikingerzeit, der in der gegend 1 gård besessen haben muss, wurden viele waffen als grabbeigabe gefunden, u.a. 1 schale, die seine hände schützt. daneben gibt es 1 für kinder entworfene hinweistafel zu früheren begräbnisriten. die großen alten verrosteten eisengeräte, die rundherum am baum lehnen, knarren+knarzen im wind. 

meine güte, ist das land schön! es gibt so viel zu entdecken. wir können bei der langen etappe nur die bilder machen + zuhause nachlesen, wir können es nicht mal morgen lesen, weil wir morgen schon wieder was anderes machen. oben befinden sich die glösa hällristningar, 5-6000 jahre alte zeichnungen der fangkulturen auf steinen am oberen ende 1 wasserfalls. die erklärungen dazu sind ebenfalls in leichter sprache verfasst + auch in deutsch vor ort. das jägerstenalder museum um die ecke ist geschlossen. draußen auf 1 grillplatz raucht 1 scheit, ich gieße wasser drauf. 

ich mache von jedem einzelnen erklärungsschild 1 bild, aber ich komme nicht dazu, sie zu lesen, auch jetzt nicht. ich kann von heute nur nachzeichnen, was auf den bildern ist, es sind so viele informationen, die irgendeine leere ausfüllen, die ich im untergrund spüre, 1 unruhe, die keine zeit hat, sich auseinanderzusetzen, die aber alles mit+aufnehmen will in der hoffnung, später gäbe es die gelegenheit. alles, was ich kann, ist, mich auf die steine hinzusetzen zum wasserfall, in die sonne. und für 1 moment da sein, wo ich bin. 

podcast übers pilgern höre ich 2x. 3 phasen gäbe es: loslassen, reflektieren, ankommen. es klingt, als wäre es 1 prozess während des wegs. aber es ist der prozess jeden tages. ich bin im lernmodus auf dem weg, jede woche bringt 1 andere aufgabe: die 1. woche die angst, die 2. woche das vertrauen, die 3. woche routine. der körper hat sich an das tägliche gehen gewöhnt, aber die heutige etappe im anschluss an täglich länger werdende strecken setzt allem den höhepunkt auf, der nicht schmerzlos vorbeigehen wird. 

wo bin ich? was passiert mit mir?

den lehrpfad zur elchjagd nehme ich auch noch mit, wenn ich auch die fanggruben, die sich längs der bekannten wanderwege der elche angelegt wurden, nicht beim 1. mal finde + nochmal umkehre, gewillt, sie auszulassen, aber das schild meint: geh einfach nochmal zurück + weiter als bisher, es kommt schon. auch jetzt im nachhinein kann ich all die schilder, die fotografierten, gar nicht lesen – vielleicht interessiere ich mich einfach nicht für die jagd. aus irgendeiner dieser linien muss ich ja hervorgegangen sein, aber überlebenstüchtig wäre sie unter solchen bedingungen in zukunft nicht. unter welchen dann? 

lustigerweise verzeichnen die abbildungen in der elchjagdhütte alte erzählungen, mythen + schriften über elche von menschen, die vermutlich nie 1 elch zu gesicht bekommen hatten. es handelt sich um ellenlange nasen, die bis zum boden reichen (plinius, 60 n. chr.) oder um wasserbeutel im maul, die bei verfolgung ausgeschüttet werden (bartholomaeus anglicus, 12. jh.) oder die vermeintliche tatsache, dass sich elche in der nacht zum schlafen an bäume lehnen müssen, um nicht umzufallen, wodurch sie zu 1 leichten beute werden würden (julius caesar, „kriget i gallien“, 50 v. chr.).

über leere rinderwiesen geht es das letzte stück runter richtung röde. versuche an diesem tag, die letzten km durchzuhalten wie ich jetzt versuche, die aufzeichnungen zu ende zu bringen. durch verlust der notiz am abend gleich nochmal rundumschlag mit allen gedanken. an welchem punkt macht die hüfte den knick? kriege ich es mit oder überrascht es mich? aus der gewohnheit heraus immer längere strecken geplant, um 1 etappe zu sparen. wieso? um am ende der saison mitte september anzukommen. 1 tag mehr oder weniger? was macht das aus? 

als ob ich 2 parallele welten vereinigen muss: das neue, was ich lerne, kann das alte noch nicht ersetzen. aber je mehr ich selbstverständlich in der welt bin, desto mehr kriegt das alte muster angst. vielleicht kommen die hüftschmerzen daher. von der angst, verdrängt zu werden. ich lebe meine biografie durchs narrativ, das ist mein ding. ich denke mir, wie es ist, war, sein könnte.

die herberge ist 1 riesige hütte, auch hier kein fließend wasser oder bademöglichkeit, aber heizung + es ist warm. mit der wirtin + ihrem sohn ein bisschen über homeoffice plaudern + pandemie. dann kriege ich von dem jungen alles gezeigt, aber sein schwedisch verstehe ich nicht, nur dass er 1x in deutschland war, in frankfurt, aber nichts gesehen hat, es war nur 1 zwischenstopp am flughafen. 

das utedo ist so weit entfernt von der hütte wie noch kein anderes. die nachttopfgeschichte muss wiederholt werden. duschen darf ich im haus. ich warte mit meiner hygienebag vor der offenen tür + rufe auf schwedisch hinein, ob ich kommen dürfe. sie ruft hinaus, dass ich schon runterkommen müsste zu ihr, wenn ich was mit ihr reden will. ich bin etwas verunsichert + warte noch ab. dann rufe ich nochmal, diesmal auf englisch, ob es jetzt ok sei. sie kommt heraus + lacht + entschuldigt sich: sie hat mich für ihre tochter gehalten! ja wahnsinn, so gut ist mein schwedisch! 

ich bezahle mal nicht über, nur 150 + 20 sek dricksen fürs duschen, wobei das schon 1 witz ist. die riesige hütte für mich allein voll aufgeheizt, nachts frost, meine güte. ich hätte noch was drauflegen sollen. ich drehe die heizung etwas runter. vielen dank für die värme!

morgen noch nach rödosundet über 30 km, dann ist nach östersund schon fast wieder nur ½ tag. die folgenden etappen plane ich kürzer. das schaffe ich schon. 

ich erzähle mir + anderen, wer ich bin.
ich schreibe mich auf+ab.